Musiktheater gegen das Vergessen
Lola Blau träumt von einem Leben als Schauspielerin. Ihr Wunsch wird durch den aufkommenden Krieg zerschlagen, als Jüdin muss sie nach Amerika emigrieren, wo sie in Nachtclubs auftritt und dem Alkohol verfällt. Ihr Freund überlebt das KZ, aber eine Zukunft für die beiden gibt es nicht, zu viel ist kaputt gegangen. Zurück in Wien erkennt Lola, dass sich die Menschen niemals ändern werden, denn „…trallala, so ist das Leben“.
Georg Kreislers Musical für eine Schauspielerin ist eine brillante Mischung aus virtuos-witzig bis melancholisch-tiefgründigem Musik und Text-Material.
In der Inszenierung von Sabine Fischmann und Cornelia Niemann und unter der musikalischen Leitung von Markus Neumeyer werden Gedanken und Gefühle von Frankfurter Zeitzeugen bzw. deren Kindern und Kindeskindern eingebunden. So entsteht ein unterhaltsamer und nachdenklicher Abend gegen das Vergessen.
Mit: Sabine Fischmann (Schauspiel/Gesang), Markus Neumeyer (musikalische Leitung/Klavier), Cornelia Niemann (konzeptionelle Mitarbeit)
Originalverlag: JOSEF WEINBERGER LTD.
Bühnenvertrieb: MUSIK UND BÜHNE Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden
Wetterauer Zeitung/Gerhard Kollmar am 23.5.23 zu "Lola Blau" in Alten Hallenbad Friedberg am 20.5.23
Man hat niemals ein Zuhause
Friedberg (gk). Das war ein großartiger Auftritt: Sängerin und Schauspielerin Sabine Fischmann brillierte am Samstagabend im ausverkauften Kesselhaus des Theaters Altes Hallenbad mit ihrer gelungenen Interpretation der »Lola Blau«...
90 intensive Minuten lang durfte Fischmann das breite Spektrum ihrer Sanges- und Darstellungskunst zur Schau stellen. Als ihr kongenialer Begleiter am Piano erwies sich Markus Neumeyer, der die unterschiedlichen Stimmungen Lolas großartig grundierte.
Der 1922 in Wien geborene Georg Kreisler verknüpft in »Heute Abend: Lola Blau« seine eigene Biografie mit der Geschichte der fiktiven jüdischen Sängerin...Während Kreisler sich in den USA als Barpianist durchschlägt, lässt er seine Lola gnadenlos als Glamour Girl vermarkten.
Der Erfolg in der Revuetheaterszene New Yorks wird ihr zunehmend zur Last. Nach Kriegsende sehnt sich Lola zurück nach Wien. Doch der Weg auf die große Theaterbühne bleibt ihr dort verschlossen. Sie muss feststellen, dass sich in den Köpfen der meisten Menschen wenig geändert hat. .... Schließlich landet Lola Blau in einem kleinen Vorstadtkabarett.
Kreisler erzählt die Geschichte eines beruflichen und menschlichen Scheiterns...
Was hier in dürren Worten referiert wurde, wird von Sabine Fischmann alias »Lola Blau« zu prallem Leben erweckt. Entscheidenden Anteil daran haben die mehr als ein Dutzend Lieder, die Lolas jeweilige Stimmungslage widerspiegeln. Fischmanns kraftvolle Stimme ist so geschmeidig wie wandlungsfähig.....
Eine eingeblendete mahnende Stimme aus dem Unterdeck, wo die deutschen und österreichischen »Emigranten zweiter Klasse« der ersehnten Ankunft im »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« entgegenfiebern, nimmt die noch völlig unpolitische Lola nicht ernst.
Und noch eine weitere Stimme aus dem Off fungiert von nun als eine Art dunkler Schatten von Lolas Geschichte: Sie gehört der (auch leibhaftig im Publikum anwesenden) ungarischen Jüdin Eva Szepesi.
Die alte Dame erzählt von der eigenen Leidensgeschichte und von der Mutter, die in Auschwitz ermordet wird. Diese Einblendungen einer Zeitzeugin des apokalyptischen Schreckens erweisen sich als genialer Regieeinfall. Sie kontrastieren und relativieren Lolas tragische Geschichte. Es gibt Schlimmeres, viel Schlimmeres.
....Fischmann begeistert mit ihrer Sanges- und Darstellungskunst: Sie schlüpft in die Rollen einer Chansonnière, Operndiva, wienerischen Soubrette, Berliner Schnauze bis hin zur Csardas-Fürstin. Jubelnder Applaus belohnt diese Glanzleistung als Höhepunkt der Aufführung. Doch im »Theater ist nichts (mehr) los«. Der Rest ist Schweigen.
Lang anhaltender Beifall krönt einen unvergesslichen Abend.
07.09.2022 12:02